Medizin nach Maß – Warum Männer und Frauen unterschiedliche Medizin brauchen

Männer kommen vom Mars, Frauen von der Venus. Und auf verschiedenen Planeten herrschen unterschiedliche Bedingungen. Was wie ein abgedroschenes Klischee klingt, ist in der Gender-Medizin Gesetz: Denn die Körper von Frauen und Männern unterscheiden sich, sie werden anders krank und reagieren anders auf Medikamente. Gender-Medizin, also die Medizin der Geschlechter, erweitert die personalisierte Medizin und betrachtet Krankheiten und Therapien aus der Geschlechterperspektive. Dabei werden nicht nur die biologischen Unterschiede mit einbezogen, sondern auch psychosoziale Faktoren, wie zum Beispiel der Lebensstil.

Geschichtliches

Gender-Medizin ist nach wie vor eine junge Disziplin, hat aber längst nicht mehr den Status eines Orchideenfachs. Sie ist ein wichtiges Element der individualisierten Medizin geworden. Ihren Ursprung hat die Gender-Medizin in der Frauengesundheitsbewegung, die sich wiederum aus der zweiten Frauenbewegung in den 1970ern herausentwickelte. Auf der Agenda standen damals die ausschließlich männliche Medizin-Perspektive und später die Tatsache, dass Frauen aus klinischen (Medikamenten-)Studien ausgeschlossen waren. Die geschlechterspezifische Betrachtung rückte immer mehr in den Fokus der Forschung, da erkannt wurde, dass Gesundheit und Krankheit sowohl auf biologischen (hormonellen, genetischen, anatomischen) Unterschieden als auch auf gender-bedingten (soziokulturellen) Unterschieden beruhen.

Frauen zeigen etwa bei einem Herzinfarkt andere Symptome als Männer, was dazu führt, dass der Herzinfarkt oft nicht gleich erkannt wird. So haben zwar Frauen seltener Herzinfarkte, sterben aber öfter daran. Die Gender-Medizin ist aber nicht nur beim Erkennen der Krankheiten wesentlich, sondern auch bei der darauffolgenden Behandlung. Insbesondere bei der Verschreibung von Medikamenten. Das medizinische Wissen orientierte sich lange an einem bestimmten Typ Mensch: 35 Jahre, 80 Kilogramm, männlich und weiß. Was landläufig dazu führt, dass Frauen, die oft kleiner sind und weniger wiegen, Medikamente in zu hohen Dosierungen einnehmen.

Männer wiederum haben im sozialen Geschlecht, das den Lebensstil umfasst, vieles aufzuholen und einen Nachteil. Während sich Frauen mehr mit Ernährungsthemen und Gesundheit beschäftigen, sind diese Gebiete bei Männern weniger präsent. Das fängt beim Eincremen mit Sonnenschutz an und geht bis zu Depressionen. Wohl leiden Frauen erwiesenermaßen öfter daran, Männer hingegen begehen häufiger Selbstmord. Dies wird damit in Verbindung gebracht, dass eine psychische Krise nicht in das gesellschaftlich transportierte Bild des selbstbewussten, starken Mannes passt. Frei nach dem Motto Boys don’t cry begeben sich Männer in Krisensituationen auch seltener in professionelle Behandlung.

Warum brauchen wir also neben klassischen Frauenärzten die Gender-Medizin? Zum Beispiel, weil es keinen dezidierten Männerarzt gibt. Weil sie zur Verbesserung der Lebensqualität und PatientInnensicherheit beiträgt. Und eine geschlechterbasierte Medizin Fehldiagnosen, falsche Dosierungen und Medikamentennebenwirkungen vermindern kann. Gender-Medizin ist also eine Notwendigkeit für Männer und Frauen, weil es das medizinische Angebot für beide verbessert.

Buchtipps zum Nachlesen:

„Gender Medicine“ – Ringvorlesung an der Medizinischen Universität Innsbruck, Margarethe Hochleitner

„Gender Medizin“ – Geschlechtsspezifische Aspekte für die klinische Praxis, Anita Rieder und Brigitte Lohff (Hrsg.)

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