Droht die Rückkehr der Seuchen?

Grippe-Pandemie, Ebola, Dengue, SARS und MERS, Chikungunya oder Zika beunruhigen die Menschen und stellen die moderne Infektions- und Tropenmedizin vor neue Herausforderungen. Welche Probleme haben wir nun in naher Zukunft zu erwarten? Zu diesen Themen fand von 16. bis 18. November in Linz die Jahrestagung der ÖGTPM statt.

Begriffserklärung Seuche

„Jährlich sterben etwa 15 Millionen Menschen an Infektionskrankheiten und damit fast genauso viele wie an Erkrankungen des Herz- Kreislaufsystems“, zitiert Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch (Morens, LID, 2008). Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Seuchen Infektionskrankheiten, die sich schnell ausbreiten und einen schweren, ja manchmal potenziell tödlichen Verlauf nehmen können. „Sowohl die Übertragungsrate als auch der Schweregrad sind von diversen Faktoren abhängig und lassen sich auch durch Veränderung der Rahmenbedingungen beeinflussen“, sagt Prof. DDr. Martin Haditsch. Hygienemaßnahmen haben im engeren Sinn, zum Beispiel bei Wasserhygiene und dem Pflegestandard, wie auch im weiteren Sinn, wie zum Beispiel bei der Moskitobekämpfung, nachweisbaren Einfluss auf das Ausbreitungsrisiko.

Dr. Kollaritsch sagt: „Es treten völlig neue und/oder oft schon totgeglaubte Infektionen auf. Rund 40 derartige Ausbrüche wurden in den vergangenen 30 Jahren beschrieben, sie umfassen völlig neue Erkrankungen wie SARS oder Vogelgrippe, bisher unbedeutende Infektionen wie Chikungunya oder Zika oder beschreiben Ausbrüche alter Seuchen wie jüngst wieder Gelbfieber und Pest. Im Bereich der Migrationsmedizin führte die Flüchtlingswelle des Jahres 2015 ebenfalls zu medial geäußerten Vermutungen, dass durch die Zuwanderung problematische Situationen in unserem Gesundheitssystem die Folge sein könnten, wie zum Beispiel die Einschleppung der Poliomyelitis aus Afghanistan.“

Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften wollen mit Expertenmeinungen und evidenzbasierten Aussagen derartige Ereignisse bewerten und eng mit den Medien und Behörden zusammenzuarbeiten. „So können unbalancierte Bilder in der Öffentlichkeit zurechtgerückt und Gefahrensituationen richtig bewertet werden. In einer globalisierten Gesellschaft beunruhigen derartige Ausbrüche die Menschen und vor allem die Medien. Letztere tragen oft dazu bei, dass global wenig relevante Ereignisse wie zum Beispiel der Ebola-Ausbruch 2014 in Westafrika mit insgesamt knapp 30.000 Fällen zu Spekulationen über weltweite Konsequenzen ungeahnten Ausmaßes führen und permanente Gefahren wie zum Beispiel die Masern mit mehr als 100.000 toten Kindern jährlich vergleichsweise ignoriert werden“, warnt Dr. Kollaritsch.  

IT goes tropic

Als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Tropenmedizin, Parasitologie und Migrationsmedizin sieht er die Aufgabe darin, solche Ereignisse fundiert zu bewerten: „Unsere Fachgesellschaft deckt als einzige wissenschaftliche Fachgesellschaft Österreichs diesen Bereich seit mehr als 50 Jahren erfolgreich ab und hält zum Wissensaustausch jedes Jahr eine Fachtagung ab, im heurigen Jahr erstmals in Linz in Kooperation mit dem Biologiezentrum Linz.“

Im Rahmen der Tagung, die unter dem Motto „IT goes tropics“ stand, wird die Rolle moderner Kommunikationsmedien in Reise- und Tropenmedizin erörtert, sagt Dr. Kollaritsch. „Ein wichtiger Teil der Tagung wardem Thema der Resistenzentwicklungen zum Beispiel bei Tuberkulose gewidmet.“

Dr. Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer für OÖ ist erfreut, dass es in Oberösterreich Experten in der Reisemedizin gibt: „Mir als einer der Verantwortlichen für Ausbildung in Österreich ist es wichtig, dass die Ärztinnen und Ärzte die Chance haben, sich in diese Richtung weiterzubilden. Seit 2015 kann das ÖÄK-Zertifikat Reisemedizin erworben werden.“

Einteilung der Übertragungswege

DDr. Haditsch sagt: „Im Kontext mit der aktuellen Jahrestagung geht es einerseits darum, rezente und aktuelle Seuchen zu analysieren, andererseits darum, eine Risikoabschätzung hinsichtlich Einschleppung nach Österreich und nachfolgender Ausbreitung abzugeben.“ Stratifiziert man die Krankheitserreger anhand der Übertragungswege, so definiert DDr. Haditsch folgende Einteilung:

  • Vektor-übertragbare Krankheiten    
  • Nahrung und Wasser  
  • Schmier-infektionen  
  • Sonstige

1.    Vektor-übertragbare Krankheiten         

  • Dengue: Es gibt laut Schätzungen der WHO jährlich zirka 400 Millionen Infektionen. Die Herde sind unter anderem in Frankreich, Kroatien, Portugal und Japan.         
  • Zika: Mehr als 70 Länder sind weltweit betroffen, zuletzt gab es Aktivitäten in Südamerika, aber auch in Asien.        
  • Chikungunya: Seit 2013 gibt es Chikungunya in Nord-, Mittel- und Süd-Amerika (klassische Explosivepidemien), in Europa auch in Frankreich und Italien. ·        
  • West-Nil-Virus: Das Virus gibt es seit 2009 in den USA, es folgte eine weitere Ausbreitung nach Kanada und Mexiko und forderte hunderte Tote. Auch in Europa gibt es Fälle, zum Beispiel in Italien, Griechenland, Serbien, aber auch in Österreich.         
  • Gelbfieber: 2015/16 kam es zur Epidemie in Angola. Es folgte der Export in mehrere Länder, wodurch es zu einem Ausbruch im Kongo kam. 2016/17 forderte das Gelbfieber in Brasilien ebenfalls hunderte Tote. Millionen Impfstoffdosen wurden im Rahmen von Massenimpfaktionen benötigt, es folgte ein weltweiter Impfstoffengpass.         
  • Pest: In Madagaskar gab es hunderte Fälle und Dutzende Tote. Die Pest verbreitete sich auch auf den Seychellen. Es folgte ein Alarmplan in Deutschland (FH Frankfurt), der auch seitens der AGES berücksichtigt wird.         
  • Malaria: Großteils gibt es bei Malaria einen Rückgang, doch es herrscht ein gegenläufiger Trend zum Beispiel in Venezuela und Kolumbien, in Südafrika und Indien. Es gibt aber auch neue Herde in Europa, wie zum Beispiel schon seit einigen Jahren ortsständige Infektionen in Griechenland, in Italien, wo im Sommer 2017 ein vierjähriges Kind verstorben ist, und Frankreich.

2.    Nahrung und Wasser

  • Cholera: Davon gab es Epidemien in Haiti (zirka 1,000.000 Fälle), es folgte der Export in Nachbarländer wie zum Beispiel die Dominikanische Republik, Mexiko, oder Kuba. Im Jemen gab es 900.000 Fälle, in Sansibar infizierten sich im Sommer 2017 zwei tschechische Touristen. Betroffen sind außerdem zahlreiche tropische Länder nach Starkregen oder bei Überschwemmung.        
  • Typhus: Es herrscht ein hohes Risiko in den Ländern des indischen Subkontinents einschließlich Sri Lanka. In Europa gab es beim Rainbow-Festival in Italien im Sommer 2017 einen Ausbruch, bei dem unter anderem deutsche und französische Touristen betroffen waren.       
  • Hepatitis A: Ein traditionell hohes Infektionsrisiko herrscht in tropischen Ländern, seit dem Import gibt es immer wieder Kleinepidemien in Europa. In Europa ist das Risiko bei männlichen Homosexuellen hoch: Heuer gab es bereits zirka 700 Fälle in Deutschland und mehr als 10000 in Europa. Mittlerweile gibt es auch schon eine dokumentierte Übertragung bei MSM („men who have sex with men“) in Südamerika.  

3.    Schmierinfektionen         

  • Ebola: Es wurden mehr als 27.000 Fälle und knapp 12.000 Tote dokumentiert.         
  • MERS CoV: Es gab mehr als 2.000 Fälle, davon zirka 80 Prozent in Saudiarabien. Die Tödlichkeit liebt bei zirka 40 Prozent.        
  • Vogelgrippe: Das H5N1-Virus ergab seit 2003 zirka 900 Fälle, die Tödlichkeit liegt bei zirka 50 Prozent. Das H7N9-Virus forderte seit 2013 zirka 1.600 Fälle und die Tödlichkeit liegt bei etwa 35 Prozent. Infektionen gab es ausschließlich in China und einige exportierte Fälle.  

4.    Sonstige für Europa „neue“ Risiken        

  • Bilharziose: Es gab bereits Fälle in Korsika.         
  • Bei Migranten: Bei Migranten wurden Fälle von Krätze, Rückfallfieber, Tuberkulose (inkl. MDR/XDR) nachgewiesen.

Aspekte und Probleme der medizinischen Bedeutung von Arthropoden

Bei Arthropoden handelt es sich um Insekten wie zum Beispiel Läuse, Wanzen, Bienen, Wespen, Flöhe, Stechmücken, Sandmücken, Kriebelmücken, Bremsen, Tsetsefliegen und Spinnentieren wie Milben, Zecken, Spinnen und Skorpione. Prof. Dr. Horst Aspöck erklärt, wie diese in vielfältiger Weise die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen können: „Bisse von Spinnen oder Stiche von Skorpionen, Bienen oder Wespen sowie Stiche von Blutsaugern können als Erreger von Krankheiten fungieren und toxische und allergische Reaktionen auslösen. Außerdem kann das Einatmen von Arthropoden-Allergenen wie zum Beispiel von Hausstaubmilben zu allergischen Reaktionen führen. Gewebe-Parasiten können zum Beispiel Milben als Erreger von Skabies, also Krätze hervorrufen. Außerdem können Arthropoden als Überträger, also Vektoren von Krankheitserregern auftreten.“ Prof. Dr. Aspöck nennt drei Entwicklungen, die nicht mehr aufzuhalten und mit enormen Herausforderungen an die durch medizinisch relevante Arthropoden bedingten Probleme verbunden sind: „Erstens der Klimawandel und die globale Erwärmung, zweitens der Anstieg der Weltbevölkerung von derzeit zirka 7,5 Milliarden auf mehr als 11 Milliarden in diesem Jahrhundert und drittens die weiter eskalierende Globalisierung durch freiwillige oder erzwungene Migrationen, aber auch die Verfrachtung von Tieren, Pflanzen und Waren.“ Jedes Jahr gibt es zirka eine Milliarde Reisende, gegenwärtig gibt es außerdem zirka 65 Millionen Flüchtlinge. All dies bedeutet zunehmende Verschleppung von Krankheitserregern und von Vektoren, besonders aus tropischen und subtropischen Gebieten.

„Unter den Erregern nehmen die durch Arthropoden, besonders durch Stechmücken übertragenen Viren wie Chikungunya, West-Nil-Virus, Zika, Dengue, den größten Stellenwert ein, nicht zuletzt deshalb, weil auch besonders effiziente Überträger aus tropischen Gebieten verschleppt werden. Es gibt nur gegen wenige durch Arthropoden übertragene Erreger Impfstoffe, und die Bekämpfung der Überträger konfrontiert uns nach wie vor mit ungelösten Problemen. All dies, zudem die durch Sandmücken übertragenen Leishmanien, hat auch für Mitteleuropa Bedeutung“, sagt Dr. Aspöck.

Erste Erfolge in der Malaria-Impfstoffentwicklung

„Die Malaria-Impfstoffentwicklung, die schon seit Jahrzenten betrieben wird, zeigt erste Erfolge“, berichtet Prof. Dr. Peter Kremsner. Zwischen 2009 und 2014 wurde eine Phase III-Studie hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit des am weitesten entwickelten Impfstoffkandidaten RTS,S/AS01 (Mosquirix®) durchgeführt. „Die bisher weltweit größte Malariaimpfstoffstudie umfasste elf Standorte in sieben afrikanischen Ländern. Dabei zeigte sich, dass die Impfung in drei Dosen Malaria bei afrikanischen Kindern im Alter von sechs bis zwölf Wochen und von fünf bis 17 Monaten reduziert und die Wirksamkeit des Impfstoffes durch eine Auffrischungsdosis gesteigert werden kann. Allerdings liegt der Schutz je nach Alter nur zwischen 26 und 36 Prozent und ist zudem von kurzer Dauer“, sagt Prof. Dr. Kremsner. Trotzdem wurde RTS,S 2015 als erster Malaria-Impfstoff von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) empfohlen und wird durch die WHO vor der breiten Zulassung noch getestet.

In einer klinischen Phase I Malaria-Impfstoffstudie wurde nun am Institut für Tropenmedizin des Universitätsklinikums Tübingen, Teil des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF), ein neues Verfahren konzipiert und die Wirksamkeit geprüft. Prof. Dr. Kremsner sagt: „In einer kontrollierten, doppelblinden klinischen Studie mit voll infektiösen, lebenden Malariaparasiten als Impfstoffkandidat zeigte sich bis zu hundertprozentige Wirksamkeit. Dabei werden die lebenden Parasiten intravenös verabreicht. Zur Abschwächung dieser wurde den Probanden gleichzeitig das Malariamedikament Chloroquin oral gegeben. Die von Sanaria Inc. in Rockville hergestellten Malariaparasiten wurden in drei verschiedenen vergleichsweise hohen Dosen, das entspricht Hunderten von gleichzeitigen Mückenstichen, und in unterschiedlichen Zeitabständen verabreicht. Dabei zeigte sich bei der niedrigsten Dosis ein Impfschutz von 33 Prozent, bei der mittleren von 67 Prozent und bei der höchsten von 100 Prozent.“ Der getestete Malariaimpfstoffkandidat (PfSPZ-CVac) war sehr gut verträglich.

Ein internationales Programm zur Weiterentwicklung von PfSPZ-CVac wurde aktuell gestartet, darunter mehrere Studien in Afrika. Zusammen mit dem Exzellenzzentrum für Forschung in Zentralafrika, dem Centre de Recherches Médicales de Lambaréné(CERMEL) in Gabun, wird die erste PfSPZ-CVac-Studie an Kindern durchgeführt. „Es ist die größte Studie des Konsortiums und wird die Grundlage für die Gestaltung dieser Impfstoffkandidaten der nächsten Generation im Endemiegebiet mit dem Ziel der Bekämpfung und Beseitigung von Malaria schaffen“, sagt Dr. Kremsner.

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